Kann ein Altenheim ein Ausflugsziel sein? Aber sicher. Das Cusanusstift oder St. Nikolaus-Hospital in Bernkastel-Kues beherbergt nicht nur eine altehrwürdige Bibliothek. Gut besucht ist auch die unterirdische Vinothek auf dem Gelände.
Man begegnet ihm überall: Auf Plakaten, Gullideckeln und sogar im XXL-Format als Kunstwerk im Autokreisel. Das Gesicht von Nikolaus von Kues alias Cusanus ist im Stadtbild von Bernkastel-Kues omnipräsent. Auch eine Straße und ein Ortsteil sind nach ihm benannt.
Vor allem geht eine der berühmten Sehenswürdigkeiten des Moselstädtchens auf ihn zurück. Zwar wirkt der spätgotische Bau am Moselufer in Kues wie ein Kloster. Doch er beherbergt eine der bemerkenswertesten sozialen Einrichtungen Europas, die der größte Sohn der Stadt seiner Heimatgemeinde vor über 550 Jahren schenkte.
Damals stiftete Nikolaus von Kues der Moselstadt ein Altenheim. 33 arme Männer sollten dort gut versorgt auf ihre alten Tage leben können. Die Anzahl der zukünftigen Bewohner hatte der Stifter bewusst gewählt, steht sie doch für die Lebensjahre Christi auf Erden. Aber nicht nur Adelige und Geistliche wurden aufgenommen, sondern auch ganz normale Bürger. Vertreter aus allen Ständen der Gesellschaft lebten gleichberechtigt unter einem Dach – das war damals mehr als ungewöhnlich.
Vinothek unter dem Cusanusstift
Das gesamte väterliche Erbe steckte Nikolaus in das Armenhospital und benannte es nach seinem Namensvetter, dem Schutzpatronen der Schiffer: St. Nikolaus Hospital. Auch rund zehn Hektar Weinberge der besten Riesling-Lagen der Mittelmosel gehörten zum Vermögen. Deshalb können sich Weinfreunde heute in der Mosel-Vinothek auf dem Gelände für einen Obolus von 30 Euro durch sage und schreibe über 100 verschiedene Weine probieren.
Das Weingut St. Nikolaus Hospital bildet von jeher die wirtschaftliche Grundlage für das Altenheim Cusanusstift. Doch im Kellergewölbe unter dem St. Nikolaus Hospital lagern auch unzählige Flaschen anderer Betriebe in Gitterboxen. Weine von Mosel, Ruwer und Saar. Das Spektrum reicht von noch unbekannten Weingütern bis zur Spitze des Bernkasteler Rings. Dr. Loosen und Markus Molitor sind genauso vertreten wie die Saar-Weingüter Van Volxem oder Othegraven. Ein Gimmick für Autogrammjäger sind die von Weingut-Besitzer Günther Jauch signierten Flaschen.
Platzhirsch im Keller ist natürlich der Riesling. Aber auch Rivaner, Weißburgunder oder Rotwein stehen zur Selbstbedienung bereit. Gekostet wird, was gefällt. Es gilt: All you can drink. Beratung gibt’s auf Wunsch inklusive. Und ist eine der Probier-Flaschen leer, erscheint ein freundliches Helferlein, um eine neue zu entkorken. Natürlich sind alle Weine im Shop auch zum Mitnehmen zu erwerben.
In der Vitrine ruhen jahrzehntealte Schätze – Weine über 40, 50 Jahre alt. Ein spezielles Kleinod in der historischen Unterwelt ist der Säulenkeller, in dem schon in Zeiten von Cusanus Weine gekeltert wurden. Doch bevor man in den Keller steigt, sollte man unbedingt eine Führung durch das oberirdische St. Nikolaus-Hospital mitmachen.
Aus Nikolaus wird Cusanus
Es war ein kluger Kopf, der diese besondere Einrichtung ins Leben rief. Nikolaus Krebs, den die Humanisten später Cusanus nannten, wurde 1401 in Kues geboren. Von seinem Geburtshaus (mehr dazu: Hier lebte der Weltstar aus Kues») zog er hinaus in Welt und meisterte einen kometenhaften Aufstieg vom Bürgersohn bis in die höchsten Ränge der Kirche. Als eine Art Außenminister des Spätmittelalters war Cusanus jahrelang in päpstlichen Diensten in der Weltgeschichte unterwegs.
Vor allem regelte der Kirchenmann seine Stiftung so clever, dass sie alle Krisen und Katastrophen überstand. Sie überdauerte Kriege, Hungersnöte und die Schrecken der Nazizeit, ebenso Inflationen und mehrere Währungsreformen. Seit der Einweihung im Jahr 1464 bietet das St. Nikolaus-Hospital ununterbrochen Menschen Fürsorge und Unterkunft und gilt deshalb als das älteste Altenheim der Republik.
Inzwischen leben 65 Männer und auch Frauen im Cusanusstift. Um einen Kreuzgang hat der Baumeister in zwei Etagen die Zellen angeordnet. Tatsächlich wurden die Bewohner schon in Zeiten der Schlafsäle mit eigenen Zimmern bedacht. Denn Nikolaus von Kues hatte ein ausgeprägtes Gefühl für die Würde des Menschen. Seiner Zeit voraus, war ihm die Individualität jedes Einzelnen wichtig.
Führung durchs Cusanusstift
Nichts hat der studierte Jurist dem Zufall überlassen, auch die Verwaltung organisierte bis in Detail. In der Satzung verfügte er sogar, dass an der Spitze immer ein Geistlicher stehen, der im ersten Stock des St. Nikolaus-Hospitals wohne solle.
Heute wacht Pastor Leo Hofmann über das Erbe des berühmten Philosophen und Kardinals. Der Kirchenmann ist der 56. Rektor des Stifts. Zuvor war er Lehrer für Religion, Deutsch und Kunstgeschichte gewesen. Danach wirkte er 25 Jahr lang im Saarland als Pfarrer. Heute kümmert sich Leo Hoffmann um die Belange der Heimbewohner und führt interessierte Gäste durchs Haus.
Mehrere tausend Besucher im Jahr lassen sich von dem Rektor bei einer Führung den Barocksaal und die Kapelle zeigen. Leo Hofmann kennt jeden Winkel in dem spätgotischen Gebäude und erzählt die Geschichten hinter jedem Gemälde.
Über der Sakristei liegt die Schatzkammer des Stifts. Verborgen hinter einer schweren Panzertür eröffnet sich die kleine Kathedrale der Bücher. Gut geschützt lagern hier hunderte von bemerkenswerten Werken, manche bis zu 1000 Jahre alt. Darunter einzigartige Werte, die Nikolaus handschriftlich mit Notizen versehen hat. Es ist die drittgrößte Sammlung mittelalterlicher Handschriften in Rheinland-Pfalz nach den Stadtbibliotheken in Trier und Mainz.
Cusanus hat die Werke teils auf seinen vielen Reisen aufgestöbert, teils als Geschenke erhalten und auch Handschriften mit reich illuminierten Titelseiten für sich anfertigen lassen. Damals war es schwierig, Bücher zu kaufen, deshalb galten die dicken Bände durchaus auch als Statussymbol.
Cusanus wertvolle Bibliothek
Ein Prunkstück der Sammlung ist das im Jahr 1460 auf Pergament gedruckte Catholicon. Denn es stammt aus der Werkstatt von Gutenberg, Cusanus’ berühmten Zeitgenossen. Insgesamt 316 Handschriften vom 9. Jh. bis zum 18. Jh. werden in dem Raum über der Kapelle verwahrt, natürlich auch die Werke aus der Feder von Cusanus.
Alle Wissensgebiete sind vertreten. Da stehen Schriften zur Philosophie, Geographie und Geschichte, genauso wie Werke über Mystik und Astronomie in den Regalen. Sowohl Kirchliches als auch weltliches Recht. Cusanus besaß damals mehr medizinische Bücher als die Pariser Universität.
Die kostbare Sammlung zeugt von Cusanus’ unglaublichen Wissensdrang, der ihm bis heute den Ruf eines herausragenden Universalgelehrten seiner Epoche einbrachte.
Als der Kardinal am 11. August 1464 im italienischen Umbrien starb, wurde seine Bibliothek nach Kues gebracht. Denn Cusanus hatte das St. Nikolaus Hospital als Universalerben eingesetzt und im Testament bestimmt, seine Sammlung möge für immer in der Heimatgemeinde bleiben.
Beigesetzt wurde Cusanus in seiner Titularkirche San Pietro in Vincoli in Rom. Aber sein Herz ließ Nikolaus an die Mosel bringen. Es liegt begraben in der Kapelle des Cusanusstifts unter einer Platte vor dem Altar.