Reichsburg Cochem: Viel zu schön, um wahr zu sein

Wer die Reichsburg in Cochem besucht, der wird reich belohnt – und dennoch beschummelt. Denn in Wahrheit ist der Prachtbau über dem Städtchen eine Mogelpackung. Doch gerade deshalb lohnt der Fußmarsch auf den Berg.

Cochem, Mosel

Blick auf Cochem mit der Reichsburg.

An der Reichsburg in Cochem kommt keiner vorbei. So war das schon immer. Früher diente das Gemäuer zur Überwachung des Moseltals. Dank der exponierten Lage rund einhundert Meter über Stadt und Fluss, konnte sich kein Kahn unbeobachtet vom Acker machen. Um passieren zu dürfen, mussten Schiffer an einer Anlegestelle Wegezoll zahlen. Mit Hilfe eines ausgeklügelten Mechanismus‘ konnten die Wachleute auf der Burg die Mosel mit einer Kette sperren. 

Heute kommen sie freiwillig in Scharen in die Stadt. Denn die Burg mit dem einmaligen Umriss zählt zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten in der ganzen Region. Tatsächlich scheint sich die Kontur des aufragenden Berges in den Gebäuden der Anlage fortzusetzen.

Bereits britischen Künstlern vergangener Epochen bot das romantische Gemäuer viel Stoff. Vor allem der Maler William Turner (1751 – 1871) machte gleich mehrmals in Cochem Station, um die Reichsburg in seinem speziellen, stimmungsvollem Licht in Szene zu setzen.

Der Anblick ist aber auch zu schön. Man kann sich kaum sattsehen an den Türmen, Giebeln und verspielten Türmchen. Wie auf einem Bild aus einem Märchenbuch thront die Schönheit auf dem steilen Bergkegel über der Stadt. Die Reichsburg sieht aus wie ein mittelalterlicher Traum mit Zinnen – aber das täuscht. Denn mit dem Originalzustand hat die größte Höhenburg an der Mosel nur noch wenig zu tun.

Turbulente Geschichte der Reichsburg

Reichsburg, Cochem, Mosel

Die Reichsburg

Zwar wurde die Reichsburg vermutlich um das Jahr 1000 zum ersten Mal gebaut. Sicher per Urkunde belegt, ist sie im März 1130 in Erscheinung getreten. Doch so wie die Anlage dort steht, hat sie gerade mal rund 150 Jahre auf dem Buckel. Denn im Laufe ihrer Geschichte wurde sie erobert, belagert, neu erobert, nochmal erobert, verpfändet, beschossen, okkupiert und im Jahr 1689 von den Franzosen mit Sprengstoff pulverisiert. Nach dem finalen Knall blieben nur Asche, Rauch und schließlich eine attraktive Ruine in exklusiver Lage zurück. 

Als William Turner das Gemäuer malte, lag es noch in Trümmern. Aber die Reichsburg hatte Glück: 1868 kam der Geschäftsmann und Kunstliebhaber Jacob Louis Fréderic Ravené in die Stadt. Der Berliner Fabrikant war am Bau der militärstrategischen Eisenbahnlinie Koblenz – Metz interessiert. Die Ravenés hatten es durch Stahl- und Eisenhandel zu erheblichem Reichtum gebracht. Geld hatten die Krupps des Ostens also genug. Warum also nicht eine hübsche Burg als Sommersitz kaufen?

Reichsburg, Cochem, Burghof

Blick durch ein Tor

Reichsburg bekommt romantisches Gesicht

300 Goldmark legte Ravené für die Ruine auf den Tisch, um sie teils nach alten Kupferstichen, teils nach den romantischen Vorstellungen seiner Zeit wieder aufbauen zu lassen. Dabei verpassten der befreundete Architekt Hermann Ende und später dessen Kollege Carl Julius Raschdorff der Reichsburg ihr romantisches Gesicht.

Mit einem Festbankett im Rittersaal wurde die Reichsburg 1877 eingeweiht. Nur die junge Ehefrau des Besitzers saß nicht mit am Tisch. Denn Therese Ravené (geborene von Kusserow) hatte sich in den Bankier Gustav Simon verliebt und ihren Mann längst verlassen. Die Scheidung war Stadtgespräch in Berlin – Theodor Fontane hörte davon und ließ sich zu seinem Roman L’Adultera inspirieren: Er machte aus Ravené die Romanfigur van der Straaten.

Reichsburg, Cochem, Saal

Das reiche Innenleben der Reichsburg.

Den vollständigen Ausbau der Reichsburg erlebte der frischgebackene Burgherr Ravené allerdings nicht mehr. Er starb 1879, genau in dem Jahr als die neu gebaute Burgkapelle geweiht wurde. Darum kümmerte sich später sein Sohn Louis Ferdinand Auguste, der auch die Tochter des Architekten Hermann Ende heiratete.

Insgesamt 75 Jahre lang diente die Burg im neugotischen Stil der Familie als Sommer-Domizil. Doch 1942 fiel die Anlage ans Deutsche Reich. Nach dem Krieg ging sie an das neu gegründete Bundesland Rheinland-Pfalz. Seit 1978 ist die Stadt Cochem der Besitzer.

Froschkönig oder Löwe?

Damals beim Wiederaufbau hielten die Cochemer den reichen Berliner wahrscheinlich für verrückt. Aber heute ist er Cochems Ehrenbürger. Eine Straße trägt den Namen Ravenés  und seine Reichsburg gilt längst als das Wahrzeichen ihrer Stadt.

Reichsburg, Cochem, Löwe

Ein Löwe in Rüstung bewacht das Tal.

In dem Touri-Magnet geht es während der Saison zu wie im Taubenschlag. Schon im frei zugänglichen Bereich gibt es einiges zu sehen. Etwa die Statue, die viele für den Froschkönig halten. Aber er ist es natürlich nicht. Denn in Wahrheit handelt sich um den Pfälzer Löwen, der in Ritterrüstung mit zugeklapptem Visier von der Reichsburg aus das Moseltal bewacht. Der Löwe ist Wappentier von Rheinland-Pfalz. Auch die Reichsburg wurde von einem Pfalzgrafen erbaut.

Der erste Blick fällt auf das älteste Bauwerk der Anlage, den Achteckturm, der ein vier mal acht Meter großes Mosaik des Heiligen Christophorus zeigt. Zwar wurde das 1870 geschaffene Bildnis des Schutzpatrons der Reisenden von den Nazis zerstört, doch später durch ein neues Mosaikbild ersetzt. Vielleicht kommt gerade Burg-Katze Struppi vorbei. Auch der Ausblick auf die Mosel ist von dort oben attraktiv.

Immerhin bis zu 250.000 Menschen steigen pro Jahr auf den Berg, um sich bei einer Führung auch das Innere der Reichsburg erklären zu lassen.

Mosel, Burgen, Reichsburg Cochem, Tor

Eingang zur Reichsburg Cochem

Geheimgang im romanischen Zimmer

Unterwegs wird gezeigt, was man von einer Ritterburg erwartet. Zum Beispiel der Rittersaal, das Jagdzimmer, eine Kemenate – alles da. Da ist der Speisesaal mit hölzerner Balkendecke im Stil der Neorenaissance. Da sind aber auch ein gotisches und ein romanisches Zimmer. Wände voller Holzschnitzereien. Wertvolle Möbel, Vasen, Kunstwerke, Lampen. Jagdwaffen, natürlich. Und jahrhundertealte Zinnkrüge, die Tagesrationen von drei bis fünf Litern Wein fassen. Es gibt sogar eine Rüstung für einen über zwei Meter großen Mann.

Fünf emaillierte Türklinken mit den Initialen LR zeugen von der Detailverliebtheit des Bauherrn Louis Ravené. Man sieht Porzellanmalerei auf Bleiglasfenster, Öfen mit Kacheln aus Delft und entdeckt mit ein bisschen Glück sogar zwei verborgene Türen. Die eine führt zur Bibliothek, die andere in einen geheimen Tunnel. Angeblich verlief der Geheimgang bis in die Stadt, gesichert ist dies jedoch nicht. Heute ist er ohnehin längst zugemauert. An einigen Stellen lässt sich auch noch gut die mittelalterliche Bausubstanz der Reichsburg erkennen, etwa an der Ringmauer oder dem nie zerstörten Hexenturm.

Geisterführung und Burgweihnacht

Bei der Geisterführung für Kinder geht es zudem in Räumlichkeiten, die nicht zur regulären Route gehören. Etwa der Bergfried, ein Wehrgang oder die Strafgerätekammer. Dabei wird niemand in Angst und Schrecken versetzt. Denn der Name verweist darauf, dass auch abgelegene Winkel der Reichsburg besichtigt werden, in die sich normalerweise nur der Burggeist verirrt. Tatsächlich geht es ums Forschen, nicht ums Gruseln, versprochen.

Geht es wiederum mit Maria und Josef auf Herbergssuche, sind es noch zwei Wochen hin bis zur Bescherung. Die Cochemer Burgweihnacht, immer am vorletzten Wochenende vor Heiligabend, ist ein Publikumsrenner. 

Gasterey auf der Reichsburg

Ruft der Burggraf „Schlagt die Tafel auf”, ist Zeit für die „Gasterey nach Art der alten Rittersleut”. Immer freitags und samstags schlemmen Gäste wie die Schönen und Reichen im Mittelalter. Denn Fleisch konnten sich nur die wohlhabenden Leute leisten. Der Burggraf lässt sich nicht lumpen und tischt als Hauptgang Keulen vom Grill und Schweinshaxen auf. Die gewohnte Etikette fällt dabei unter den Tisch. Denn wie es damals üblich war, wird die „Speys” von der Hand in den Mund gegessen. Zum Abendprogramm gehören noch allerley Schabernack und Kurtzweyl. Ach, das herrliche Ritterleben!

Wie viel echtes Mittelalter auch drinstecken mag: Die Reichsburg bietet alles, was man von einer Märchenburg auch erwartet. An der Mosel kann ohnehin nur eine Burg den Anspruch erheben, ein authentisches Stück Mittelalter zu sein: die nie zerstörte Burg Eltz, die seit 33 Generationen derselben Familie gehört.

 

Infos zur Reichsburg

Adresse: Reichsburg Cochem, Schloßstraße 36, 56812 Cochem, Tel. 02671 255, www.reichsburg-cochem.de

Öffnungszeiten: täglich 10 – 18 Uhr. Die Reichsburg ist die einzige Mosel-Burg, die auch im Winter besichtigt werden kann. 

Burgschänke: Im Restaurant stehen Deftiges wie Eintopf, Schnitzel oder Ritterbrot auf der Speisekarte. Natürlich auch Kuchen und Wein.

Anfahrt: Eine direkte Anfahrt mit dem Auto oder Motorrad ist nicht möglich ist. Doch von Mai bis Ende Oktober verkehrt der Reichsburg Shuttlebus 781 zwischen dem Busbahnhof Endertplatz und dem Reichsburgsattel. Preise: Einfache Fahrt 2,50 €, Hin- und Rückfahrt 4 €.

Parken: Parkhaus in der Endertstraße oder Cityparkplatz in der Pinnerstraße, etwa 15-30 Minuten Fußweg bis zur Burg.

Aufstieg: Ab Bahnhof Cochem ca. 30 Minuten zu Fuß.

Reichsburg, Mosel, Zimmer

Ein Zimmer in der Burg.

Führungen und Feste

Führung: Das Innere der Burg kann nur bei einer Führung besichtigt werden. Dauer ca. 40 Minuten, zwischen Mitte März und November täglich 9 – 17 Uhr, in den Wintermonaten verkürzte Öffnungszeiten. Preise: Erw. 8,50 €, 6 – 17 Jahre 4,50 €, Familienkarte 21,50 €.

Fotografieren und Filmen: Beides ist auch in den Räumen (ohne Stativ) erlaubt, Drohnen sind auf dem Gelände verboten.

Hunde: Brave Hunde dürfen angeleint an der Führung durch die Innenräume teilnehmen.

Geisterführung für Kinder: Für Kinder zwischen 5 und 10 Jahren, von Ostersonntag bis Ende Oktober jeden Sonn- und Feiertag um 11 und 13.30. Preise: Kinder 6,50 €, Erw. 8,50 €.

Burgfest: Zweitägiges Fest mit Ritterspielen, Handwerkern, Gauklern und mittelalterlichem Marktszenario. Immer am ersten Augustwochenende.

Gasterey auf der Reichsburg: Dauer 4 Stunden, Preise: Erw. 59 €, Kinder 6 bis 12 Jahre, 29,50 €.

Burgweihnacht: 9. und 10. Dezember, jeweils von 12 bis 18 Uhr. Mit Krippenspiel und Ständen. Preise: Erw. 8 €, Kinder (4 bis 17 Jahre) 4 €.

Wandern und Tradition

Besonderheit: Der Knipp-Montag ist für viele Cochemer der höchste Feiertag im Jahr. Dahinter steckt eine Sage, die sich so an einem Sonntag nach Ostern abgespielt haben soll: Damals wollte sich ein junger Burgknecht mit seiner Liebsten treffen. Aber auf seinem Weg dorthin entdeckte er auf einer Wiese schwer bewaffnetes Volk. Der Mann erfuhr, dass die Truppe einen Angriff auf die Reichsburg plante. Schnell galoppierte er zur Burg zurück und schlug Alarm. Die Burgmannen rüsteten zur Verteidigung. So konnten die überraschten Feinde am nächsten Morgen abgewendet und vertrieben werden.

Aus Dankbarkeit gab der Burggraf seinen Mannen dienstfrei und erklärte den Montag nach dem „weißen Sonntag” zum Feiertag für alle Zeit. Seit damals ziehen die Cochemer Bürger und Bürgerinnen mit reichlich Proviant zur Wiese namens „Knipp” oberhalb der Burg, wo sich die Angreifer einst versammelt hatten. Von der Reichsburg werden Salven abgefeuert.

Wandern: Rund um die Reichsburg einige Wanderwege, zum Beispiel die Cochemer Ritterrunde, ein Seitensprung des Moselsteigs. Mehr Infos zu Touren stehen hier.