Schengen: Sehenswürdigkeiten im berühmtesten Dorf der Welt

Schengen ist den meisten Menschen ein Begriff, denn mit dem Abkommen wurde der Grundstein für ein grenzenloses Europa gelegt. 27 Länder nehmen bis heute an ihm teil. Aber wie sieht es dort eigentlich aus? Ein Besuch im berühmtesten unbekannten Dorf der Welt an der Mosel.

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 „Die Wiege des grenzenlosen Europas“ steht in Schengen

Von Schengen hat eigentlich jeder schon gehört. Steht es doch seit mehr als drei Jahrzehnten für Reisen ohne Schlagbäume und Grenzkontrollen kreuz und quer durch Europa.

Allerdings kennen viele Schengen nur als Namen des Visums, das Reisende sogenannter Drittländer für die Einreise in europäische Staaten beantragen müssen. Doch es soll auch hierzulande nicht wenige Menschen geben, die „Schengen” tatsächlich für eine Abkürzung halten. Für was auch immer.
Und nicht wenige von denen, die zumindest wissen, dass es sich bei Schengen um eine Ortschaft handelt, haben nicht den geringsten Schimmer, wo sie eigentlich liegt. Vielleicht irgendwo in Belgien oder gar in Deutschland? Falsch.

Doch keine Sorge. Wer die Wiege des grenzenlosen Europas geografisch nicht verorten kann, befindet sich mit seiner Ahnungslosigkeit in bester Gesellschaft. Denn der ehemalige französische Staatspräsident François Mitterrand hat Schengen einst als „charmantes Dörfchen in den Niederlanden” verortet. Woraufhin er reichlich Post mit Luxemburger Stempel bekam. 

Schengen liegt in Luxemburg

Denn das berühmte und zugleich unbekannte Schengen liegt am südlichsten Zipfel der 42 Kilometer langen Weinstraße am Ufer der Luxemburger Mosel. Vis-à-vis der deutschen Winzergemeinde Perl und dem französischen Dörfchen Apach. Genau dort, wo das Saarland, Lothringen und Luxemburg das Dreiländereck bilden.

Damit jeder die Stelle erkennt, wo Deutschland, Frankreich und das Großherzogtum aufeinander treffen, wurde am Dreiländerpunkt eine Boje in die Mosel gelassen. 

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Historisches Foto zum Schengener Abkommen. Die Staatssekretäre, darunter eine Frau, signieren den Vertrag.

Heute fahren oder gehen Tausende Deutsche und Franzosen täglich unbehelligt von Grenzkontrollen ins Großherzogtum. Ob nun zur Arbeit, zum billigen Tanken oder um günstig besteuerte Zigaretten und Kaffee in den Kofferräumen zu stapeln. Viele Luxemburger und Franzosen wiederum steuern Deutschland an, um sich beim Lebensmittel-Discounter oder mit Drogerieartikeln einzudecken. Allein in Perl stehen vier dm-Filialen, darunter die größte in ganz Europa.

Von den knapp 9.000 Einwohnerinnen und Einwohner der saarländischen Gemeinde haben 2.400 einen Luxemburger Pass. Der fränkische Dialekt verbindet die Menschen, Familien leben über die drei Länder verstreut. Im Dreiländereck um Schengen ist das vereinte Europa tagtäglich gelebte Realität. 

Abkommen auf der Marie-Astrid

Dabei mussten Bauern früher sogar ihre Mistfuhre verzollen, wenn sie über die Brücke von Perl nach Luxemburg rollten. Spaziergänger verließen nicht ohne Ausweis das Haus, weil an der grünen Grenze zwischen Frankreich und Deutschland Zöllner mit Schäferhunden patrouillierten.

Doch am 14. Juni 1985 wurde das Schengener Abkommen unterzeichnet, das den schrittweisen Abbau der Zoll- und Personenkontrollen an den gemeinsamen Grenzen vorsah. Zehn Jahre später trat es in Kraft und machte Schmuggler arbeitslos. 

Da Luxemburg gerade den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft hatte, wählte Robert Goebbels, Staatssekretär des kleinen Landes, Schengen als Ort der Vertragsunterzeichnung. Schauplatz des historischen Akts war ein Fahrgastschiff der Luxemburger Moselflotte: Die elegante „MS Princesse Marie-Astrid”.
An Bord trafen sich die Staatssekretäre der fünf Gründungsländer Frankreich (Catherine Lalumière), Deutschland (Waldemar Schreckenberger), Belgien (Paul de Keersmaeker), der Niederlande (Wim F. van Eekelen) und Luxemburg (Robert Goebbels), um ihre Name unter die Verträge zu setzen und darauf mit Moselwein vom Schengener Markusberg anzustoßen.

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Das Tourist-Office in Schengen

Wer gehört zum Schengen-Raum?

Heute leben insgesamt rund 420 Millionen Menschen im Schengenraum, denn bislang haben 27 europäische Nationen das Abkommen unterzeichnet. Darunter alle Staaten der EU – mit Ausnahme von Zypern und Irland sowie den Ländern, die seit ihren EU-Beitritten 2007 auf grünes Licht für die Aufnahme warten: Rumänien und Bulgarien. Obwohl sie nicht Mitglieder der Europäischen Union sind, gehören Liechtenstein, Norwegen, Island und die Schweiz zu den Schengener Staaten.

Schengen – das muss doch eine ganz große Nummer sein! Unter sich sind die Bewohner des Dörfchens tatsächlich nicht mehr: Im Schnitt  kommen jährlich rund 70.000 Touristen aus aller Welt, um jene Ortschaft zu sehen, in der der Grundstein für ein grenzenloses Europa gelegt wurde.
Und dann wundern sie sich, dass dieses Schengen an der Mosel so winzig ist. Denn eine Einkaufsmeile, Glamour und Wolkenkratzer suchen sie vergebens. Dafür gibt es reichlich Tankstellen, gepflegte Weinberge, eine Kirche und ein Schloss. Zudem rund 550 Einwohner, regen Durchgangsverkehr und in alle Richtungen zeigende Straßenschilder.

Schengen als Wiege des grenzenlosen Europas

An der Moselpromenade bilden verschiedene Monumente und Symbole eine Art Gedächtnismeile. Passanten begegnen zum Beispiel einem Gedenkstein, der an den Aufbau des Hauses Europa erinnert. Das Gebäude der Tourist-Info ankert in Form eines Schiffes am Ufer – die „Princesse Marie-Astrid“ lässt grüßen. Zu den Hauptattraktionen zählen das Europäische Museum (Centre European Schengen) und das Europadenkmal

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Der Platz vor dem Europäischen Museum

Drei 3,50 Meter hohe Stelen aus Stahl symbolisieren die Ursprünge der Europäischen Union mit Gründung der EGKS (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl). Die sogenannte Montanunion ging auf eine Initiative des französischen Außenministers Robert Schuman zurück, mit dem Ziel, den Frieden unter den Mitgliedstaaten zu sichern. Die drei eingestanzten Messingsterne stehen für die ersten Unterzeichner des Schengener Vertragswerk: Frankreich, Deutschland und den Wirtschaftsverband Benelux. 

Im Boden vor dem Denkmal wurden neun weitere Sterne eingelassen. Dabei hat die Zahl 12 nichts mit der Anzahl der Mitgliedsländer, sondern  steht als Symbol für Vollständigkeit. Deshalb schmücken auch zwölf goldene Sterne auf blauem Grund die Europaflagge. Die Sterne stehen für Solidarität und Harmonie zwischen den Völkern, der Kreis für die Einheit. 

Vom Europa-Denkmal zum Europa-Museum 

Wer will, kann sich im Europa-Museum als Souvenir einen Schengen-Pass ausstellen lassen oder an einer interaktiven Tafel am Rad der Geschichte drehen. Die Dauerausstellung informiert über die Anfänge der Europäischen Union und die Errungenschaften, die das Schengener Abkommen mit sich bringt. 

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Ein Stern für jedes Land

Schon mal darüber nachgedacht, wie einfach das Schengener Abkommen das Reisen durch Europa macht? Für eine Autofahrt nach Portugal zum Beispiel, benötigte man in den 1950er Jahren sogar noch Visa, um Belgien, Frankreich und Spanien zu durchqueren. Manche Länder verlangten den internationalen Führerschein, andere für Wohnwagen das Carnet oder ein Zollformular.

Zudem war Europa vom Eisernen Vorhang geteilt. Und es ist noch gar nicht lange her, dass in Spanien und Portugal Diktatoren herrschten.

Reisen ohne Grenzen

Inzwischen gehören kilometerlange Staus an den Grenzen und Passkontrollen der Vergangenheit an. Denn alle Länder auf der mehr als 2000 Kilometer langen Strecke haben 1995 die Schlagbäume abgebaut. Die Ausstellung im Europäischen Museum zeigt, was dafür nötig war, damit wir heute ohne Binnengrenzen so unkompliziert reisen und leben können.

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Segmente der Berliner Mauer

Auf dem Place des Étoiles (Platz der Sterne) vor dem Museum stehen drei Nationalsäulen mit insgesamt 27 Sternen, welche die einzelnen Schengenstaaten symbolisieren. Erkennbar sind die Länder an ihren eingemeißelten Markenzeichen. Da stehen etwa die Olympischen Ringe für Griechenland oder die Basilika Sagrada Família für Spanien. Da sind auch die Christus-Statue aus Lissabon, ebenso Elche aus Schweden und die schwarze Katze auf dem Dach aus Riga zu sehen. Den deutschen Stern schmückt neben dem Brandenburger Tor ein Gartenzwerg.

Neben den Säulen flattern die Flaggen der EU-Schengen-Länder. Auf einem Friedenspfahl steht „Möge Frieden auf Erden sein” auf zwölf Sprachen.

Berliner Mauer in Schengen 

Ein paar Meter davon entfernt begegnet man zwei Teilen der Berliner Mauer: Als Mahnmal und Erinnerung an die Öffnung und den Wegfall der Grenzen. Eines der Segmente ist mit dem Portrait des ehemaligen sowjetischen Staatschefs Michail Gorbatschow versehen.

An die Skulptur  „E Schlass fir Schengen” (Ein Vorhängeschloss für Schengen) haben Botschafter personalisierte Vorhängeschlösser bei ihren Ländern angebracht. Nur ausgerechnet von der „Princesse Marie-Astrid” fehlt jede Spur.

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Die Skulptur „Ein Vorhängeschloss für Schengen“

Der ehemalige Luxemburger Europaabgeordnete Robert Goebbels erinnert sich im Deutschlandfunk an die Unterzeichnung im Jahr 1985: „Als ich am Ende meiner Begrüßungsansprache sagte, dieser Vertrag wird als Schengen-Vertrag in die Weltgeschichte eingehen, haben alle nur gelacht.”

Und so hat in der historischen Stunde wohl keiner der Beteiligten auch nur im Traum dran gedacht, welche Bedeutung dieses Schiff in Zukunft einmal haben könnte. Denn tatsächlich wurde dieses Stück Geschichte 1992 zu Gunsten einer Neuanschaffung verkauft. Bis 2003 ist der legendäre Mosel-Dampfer unter dem Namen „Sankt Nikolaus” unerkannt über den Rhein gefahren, danach war er als „MS Regensburg“ auf der Donau unterwegs. Doch das soll sich nun ändern.

Denn im August 2021 hat die Luxemburger Regierung die „Princesse Marie-Astrid” zurück gekauft, um sie nach Schengen zu holen. Für Besucher soll das Schiff ab 2025 zugänglich sein.

 

Und wenn man schonmal da ist …

Sehenswürdigkeiten in Schengen

Wahrzeichen von Schengen sind die Kirche und das Schloss von 1812. Es wurde auf den Fundamenten einer Wasserburg aus dem 13. Jahrhundert errichtet. Allerdings blieb von dem dem ursprünglichen Bau nur ein Festungsturm erhalten.

Der berühmteste Besucher war der Schriftsteller Victor Hugo,  dessen Zeichnung von dem Turm noch heute das Etikett der Weine „Château de Schengen” schmückt.

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Das Biodiversum im Remicher Haff

Das Schloss ist von einem schönen Barockgarten umringt und gehört zum Tourismus-Projekt „Grenzenlose Gärten”. Auf der deutschen Seite empfiehlt sich ein Besuch der Römischen Gärten der Villa Borg in Perl.

Probieren: Im Anbaugebiet wird von den Luxemburger Winzern edler Crémant produziert. Wer sich zudem für Architektur interssiert, wird vom Weingut Henri Ruppert mitten im Markusberg begeistert sein. Das futuristische Gebäude in Form einer Welle wurde von dem berühmten Luxemburger Architekten Valentiny entworfen, aus dessen Feder auch der Luxemburger Turm in Trier stammt.

Geheimtipp für die Fans von lost places: Mitten in Schengen versteckt sich ein verwunschener, verlassener Ort. Im Café Oudill nach der Kegelbahn fragen! 

Sehenswert ist auch das nahe gelegenen „Haff Réimech” mit dem Umweltbildungszentrum Biodiversum. Das stille Naturschutzgebiet in den Moselauen ist zu einer guten Adresse für Birdwatcher geworden.

Nettes Fotomotiv in Apach: Am Grenzübergang nach Perl, etwa 400 Meter von Schengen entfernt, steht der Apacher Eiffelturm. Er sieht dem Pariser Original zwar sehr ähnlich, ist aber nur zehn Meter hoch.

Grenzenlos wandern mit Aussicht

Über den WanderwegTraumschleife Schengen grenzenlos” kann man sich den Geist Europas erwandern. Aussichten ins Moseltal, in Richtung Luxemburg und Lothringen gibt es inklusive. Und am Ufer der Mosel führt der Rundweg „Dreiländerweg” durch die drei Staaten.

Zwar war das Schiff, auf dem die Verträge besiegelt wurden, nur bis 1992 auf der Mosel unterwegs. Allerdings verkehrt heute der elegante Nach-Nach-Nachfolger der „Princesse Marie-Astrid” zwischen Remich, Grevemacher und Trier. Auch Touren nach Neumagen-Dhron und Bernkastel-Kues stehen auf dem Fahrplan.

Eine der kaum bekannten Sehenswürdigkeiten in Schengen ist der Markusturm. Schon zu Zeiten Napoleons stand der quadratische Wachtturm mit leuchtend rotem Ziegeldach im Markusberg. Er beherbergt eine Ausstellung mit historischen Bildern von Schengen, bietet einen schönen Blick übers Dreiländereck, auch Weinproben sind möglich.

Der Syndicat d’Initiative Schengen öffnet ihn auf Anfrage und bietet auch geführte Wanderungen durch die Weinberge zum Markusturm. mehr Infos unter www.si-schengen.lu

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