Winningen: Horch, Berggolf und der Ortsfunk

Was unterscheidet Winningen von anderen Moselorten? Zum Beispiel das älteste Winzerfest Deutschlands, der kuriose Ortsfunk und eine Autobahnraststätte als Touristenmagnet. Angestoßen wird mit Eierwein.

Autobahnbrücke Winningen

Aussicht auf die Moseltalbrücke. Foto: Medienbüro Terrassenmosel/Regiopress Klaus Lammai

Winningen. Wenn der Name fällt, denken viele an Remmidemmi und  Tanzzüge voller schunkelnder Kegelclubs. Dafür war der Weinort an der Mosel lange bekannt. Doch heute kommen Touris, um sich an den Kunsttagen die Werke internationaler Künstler anzusehen oder um sich beim Steillagenfest auf eine Weinwanderung der ganz besonderen Art zu begeben.

Uhlen, Röttgen, Hamm. In den Kellern der Winzerbetriebe reifen einige der prominentesten Rieslingweine der Welt. Es gibt einen Yachthafen mit allem Pipapo, ein idyllisch gelegenes Freibad in der Nachbarschaft  und eine rege besuchte Camping-Insel. Es gibt sogar einen Berggolf-Platz. Nie gehört?

Berggolf, Winningen

Golfen in der Vertikalen. Foto: Dieter Blum

Bei dem Spiel geh es darum, das kleine Runde mit einem Schlag in einem Trichter zu versenken. Der Clou: Dafür wurde ein ehemaliger Weinberg oberhalb der Gemeinde zu einem 4200 Quadratmeter großen Golfplatz im Hochformat umfunktioniert. Es gilt: Je höher und weiter entfernt sich das Ziel befindet, desto mehr Punkte gibt es für den Treffer.

Wer das alles von oben sehen will, kann vom nahe gelegen Flugplatz zu Rundflügen über Rhein und Mosel abheben. Die Flugschule Rhein-Mosel-Flug nimmt bis zu drei Passagiere im Motoflieger mit, die Berufspiloten der Rotorflug GmbH bieten einen Mitflug im Hubschrauber an.

Ob nun durch die Luft, übers Wasser, über die Schiene oder über die Autobahn – kaum ein anderer Mosel-Ort ist unkomplizierter erreichbar.

Moseltalbrücke, Winningen

Die Moseltalbrücke

In Winningen gehören sogar Autobahnraststätten zu den Touristenmagneten. Tatsächlich trifft man auf den Parkplätzen an der A61 nahezu immer auf Menschtrauben. Denn die Aussichtspunkte neben der 136 Meter hohen Moseltalbrücke bieten den besten Blick auf die Landschaft der Terrassenmosel. Wanderwege führen hier entlang. Die Raststätte dient auch Pilgernden auf dem Mosel-Camino als Verpflegungsstation. Auch die Reste einer Villa Rustica können nahe der Moseltalbrücke besichtigt werden.

So kommt man hin: Über die A61, Rastplatz „Aussichtspunkt Moseltal”.

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Der Mosel-Apollo aus Winningen

Nur acht Kilometer flussabwärts verabschiedet sich die Mosel bei Koblenz in den Rhein – allerdings nicht ohne sich zuvor noch einmal von ihrer Schokoladenseite zu zeigen. In spektakulären Steillagen wachsen die Reben auf bis zu 29 übereinander getürmten Parzellen heran. Die teils jahrhundertealten Trockenmauern sind das Wahrzeichen der Terrassenmosel.

Dicht gedrängt ziehen sich die Terrassenweinberge über knapp zwei Kilometer Länge am Fluss entlang. Hier sind der Röttgen und der berühmte Winninger Uhlen, der Weinberg der Eulen, zuhause. In diesen Felsterrassen flattert der vom Aussterben bedrohte Mosel-Apollo herum. Ein Unikum und Liebling der Schmetterlingskundler. Tatsächlich weist sein lateinischer Name „Parnassius apollo vinningensis” auf Winningen hin. 

Apollo-Falter, Winningen, Mosel

Der Mosel-Apollo

Winningen und die Weinfeste

Gefeiert wird natürlich noch immer – stets und ständig. Zum Saisonauftakt am Ostersonntag zelebriert Winningen das Ostereierkibben. Wie der Wettkampf mit einem Ei als Waffe funktioniert, lässt man sich am besten vor Ort erklären. Zu dem uralten Brauch gehört der natürlich der Eierwein. Für die Winninger Spezialität werden Riesling, Eier, Zucker und Vanillezucker miteinander verschlagen. Prost!

Zum Jahresabschluss funkelt ganz Winningen im Lichterglanz. Mit illuminierten Häusern, unzähligen Lichterketten, über einhundert Ständen, sogar mit Rentieren und Eiskönigin. Am ersten Adventswochenende gibt es die volle Vorweihnachtsdröhnung.

Und dazwischen? Zum Beispiel rufen die Winzer und Winzerinnen immer am dritten Sonntag im Mai zum Steillagenfest, um entlang einer ganz besonderen Wanderroute ihre Schätze auszuschenken. Denn dabei zieht die Karawane mitten in den Weinterrassen von Stand zu Stand – eine grandiose Aussicht auf die Mosel gibt es inklusive. Mit der Bass & Bouquet Sommer Riesling Party haben es die jungen Winzer und Winzerinnen in den Terminkalender geschafft.

Und Ende August folgt mit dem Moselfest das vermutlich deutschlandweit älteste und mit 10 Tagen längste Winzerfest an der Mosel. Dabei von jeher präsent: Etliche Kegelclubs von Rhein und Ruhr und die Winninger Weinhex.

Wer ist die Winninger Weinhex?

Was es damit auf sich hat? Zum einen ist die Winninger Weinhex eine Großlage im Weinanbaugebiet, die bis 1971 noch Heideberg hieß. Sie ist eng mit dem düsteren Kapitel der Ortsgeschichte verbunden. Denn im Heideberg wurden 21 Winninger Männer und Frauen während der Hexenverfolgung im 17. Jahrhundert hingerichtet. Ein Gedenkstein auf dem Hexenhügel in der Nähe des Flugplatzes erinnert an die Opfer. Die Namen findet man noch heute im Ort.

Tipp: Im Winninger Hellenweg liegt der Einstieg in den rund acht Kilometer langen Rundwanderweg Hexenpfad. Er verbindet den Autobahnrastplatz Moseltalbrücke mit weiteren schönen Aussichtspunkten und führt am Gedenkstein vorbei. Zu den Sehenswürdigkeiten an der Strecke gehört auch die frühere Mineralwasserfabrik im Belltal.

Winningen, Terrassenmosel

Blick auf die Steillagen

Die Weinhex ist längst aber auch eine Symbolfigur, die nichts mit der echten Historie gemein hat. Die Legende kennt in Winningen jeder Kind. Sie erzählt vom Winzer Veit Mertens, genannt Pfeifenhannes, aus dem 17. Jahrhundert. Er wunderte sich, dass in seinen besten Fässern der Pegelstand stetig sank. Schuld konnten nur die Hexen sein! Deshalb legte er sich auf die Lauer und wartete ab.

Und tatsächlich: Nach einigen Tagen machte sich eine dunkle Gestalt an seinem Wein zu schaffen. Der Pfeifenhannes sprang aus seinem Versteck und schlug auf die Weinhexe an. Doch dann, oh Schreck, erkannte er seine eigene Frau.

Schöne Häuser gucken

Der Weinhof mit dem Weinhexbrunnen ist das Epizentrum des Moselfests. Dort haben sich über die Jahrhunderte hinweg die die schönsten Fachwerkhäuser angesammelt. Zum Beispiel das Winninger Spital. Etwa 500 Jahre hat der ansehnliche Fachwerkbau schon auf dem Buckel. Doch obwohl der Name danach klingt, ist es noch nie ein Krankenhaus gewesen. Tatsächlich bot das Haus früher Handwerkern auf der Walz oder frommen Pilgern Unterkunft und Rast.

Wer braucht Oberammergau mit seiner Lüftlmalerei, wenn er Winningen haben kann? Man beachte die kunstvoll bemalte Fassade der alten Post, der Hausnummer 4.

Doch wer durch den 2500-Einwohner-Winzerort läuft, entdeckt an vielen Ecken gepflegtes Fachwerk und andere interessante Häuser. Etwa die ehemaligen Schule, die heute ein Museum beherbergt. Das Baudenkmal von 1833 stammt aus der Feder des Architekten Johann Claudius Lassaulx, der auch die Matthiaskapelle in Kobern-Gondorf auf Vordermann brachte.

Im Museum bieten seltene Exponate Einblicke in das Leben der Winzergemeinde – von der Frühzeit des 871 erstmals erwähnten Dorfes bis heute. Man erfährt, dass es die ersten Winninger schon vor 800.000 Jahren gab. Denn bei bei Bauarbeiten am Flugplatz kam ein Faustkeil zutage. Das Original des von Menschenhand geschaffenen Steinwerkzeugs wird auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz gezeigt. Aber das Museum in Winningen kann immerhin eine Replik präsentieren.

Tipp: Wer möchte, kann sich in einem über sechs Tonnen schweren 30.000 Liter-Fass ein Gläschen Riesling gönnen.

Winningen, Weingut Löwenstein, Ode an den Wein

Die „Ode an den Wein“ in Schönschrift.

Mit rund 950 Jahre zählt das Stammhaus des Weinguts Freiherr von Heddesdorff zu den ältesten Gebäuden im Dorf. Aber Winningen kann auch modern. In der Bahnhofstraße bleiben Passanten stehen, um zu entziffern, was auf dem Kubus neben der Villa des Weinguts Heymann-Löwenstein steht. Denn das etwa acht Meter hohe Gebäude ist überzogen von einer aus Edelstahl gefertigten Kalligraphie. Es ist die Ode an den Wein, verfasst vom chilenischen Nobelpreisträger Pablo Neruda.

Winningen und der Ortsrundfunk

Überraschungen sind für Ortsunkundige in Winningen Tagesgeschäft. Denn zweimal am Tag, um 12 und 17 Uhr, wird die gesamte Gemeinde wie aus heiterem Himmel mit Marschmusik beschallt. Nach der Erkennungsmelodie verkünden Mitarbeiter der Gemeindeverwalter Neuigkeiten. Etwa die ärztlichen Bereitschaftszeiten oder dass die Kirchenchorprobe ausfällt. Bürger lassen wissen, dass sie eine Wohnung vergeben oder ihre Katze suchen. Es gilt die Regel: Private Durchsagen kosten pro Ausruf 7 € und werden maximal zweimal gemacht.

Nachricht verpasst? Kein Problem, auf der Homepage der Gemeinde werde aktuelle Meldungen zum Nachlesen gesammelt.

Tatsächlich gehört Winningen zu den wenigen Ort, die noch einen Ortsfunk haben. Zwar wurden in den 1940er Jahren nahezu überall solche Anlagen installiert. Aus Gründen. Aber in die meisten Dörfer haben den Betrieb schon vor Jahrzehnten eingestellt. Anders als der Name „Funk“ suggeriert, werden die rund 2500 Winninger Bürger und Bürgerinnen bis heute über rund 200 Lautsprecher auf dem Laufenden gehalten.

Darunter die Schriftstellerin Anne von Canal („Der Grund”) oder Ritz-Carlton-Gründer Horst Schulze. Den Ehrenbürger und Ehrenwinzer der Gemeinde, zieht es immer wieder in seine Heimat zurück. 

Zylinderhaus, Bernkastel, Horch

Horch im Zylinderhaus.

Auf den Spuren von August Horch

Doch der berühmteste Sohn der Gemeinde ist und bleibt August Horch. Mit seinen Erfindungen, wie dem ersten Vierzylinder-Motor in einem deutschen Auto, war der Winninger Ehrenbürger seiner Zeit weit voraus. Nachdem er im Jahr 1909 die damalige Horch & Cie. Motorwagen Werke AG in Zwickau verlassen musste, gründete er ein neues Unternehmen. Da er aber seinen Nachnamen nicht mehr nutzen durfte, übersetzte er ihn auf Latein: Die Automarke Audi war geboren. Im Zylinderhaus in Bernkastel-Kues sind einige seiner Autos ausgestellt.

Heute liegt der Automobil-Pionier, der selber tatsächlich nie einen Führerschein besaß, auf dem Winninger Friedhof begraben. Dessen Geburtshaus ist heute eine Pension. Und im Museum sind zahlreiche Fotos aus seiner Winninger Zeit zu sehen. Die Winninger können viele Geschichten über August Horch erzählen. Wer sie hören möchte, kann zum Beispiel im Winninger Spital eine Horch-Führung buchen. Das Haus der Horch-Enkelin Heike ist eine der Stationen auf dem Rundgang.

Und nun sage nochmal jemand, in Winningen gäbe es nur Remmidemmi und Busse voller schunkelnder Kegelbrüder und Kegelschwestern.